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Gartenstädte in und um Berlin

Anne Schäfer-Junker / 8.7.2012

„Gartenstädte in und um Berlin“, 1. Auflage hendrik Bäßler Verlag 2012,

Warum in die Ferne schweifen … Gartenstädte in und um Berlin
Buch-Rezension

Der hendrik Bäßler verlag brachte im Mai 2012 eine Neuerscheinung zum Thema „Gartenstädte“ auf den Buchmarkt, die sich sehen lassen kann. Autor dieses sorgfältig erarbeiteten Buches ist Friedrich Wolff. Er und der Verleger Hendrik Bäßler erfüllen damit ein Vermächtnis des Wissenschaftsjournalisten Jan-Michael Feustel, der zu seinen Lebzeiten die Idee für ein Buch über Gartenstädte im Berliner Raum hatte.

     

Allen Gartenfreunden, aber auch besonders allen Menschen, die Wohnen nahe der Natur schätzen sei dieses Buch hier kurz vorgestellt. Frei nach Goethe „Warum in die Ferne schweifen“ können Sie mit diesem gut verorteten Werk in Berlin, Potsdam, Frankfurt/a. d. Oder und dem weiteren Umland unterwegs sein und die Wohn-Anlagen wiedererkennen. Hier ist leider nur ein kurzer Blick in dieses Buch möglich, das sage und schreibe 36(!) Gartenstädte vorstellt.

Sowohl die Versuche der in den 1890er Jahren in Berlin neu gegründeten Baugenossenschaften als auch die an der Schwelle des 20. Jahrhunderts entstandenen Reformbewegungen suchten nach Alternativen gegen die im großen Stil errichteten Mietskasernen durch menschenwürdige Wohnanlagen, bspw. durch Planungskonzepte von Gartenstädten mit funktional gegliederten Stadtstrukturen.

Der historische Ausblick am Beginn des Buches beschreibt das Entstehen der Gartenstadt-Idee, die zwar im Großen und Ganzen zu Beginn des 20. Jahrhunderts und besonders in England verortet scheint, aber das Wohnen in der Natur mit Siedlungs-Infrastruktur ist schon älter. Im Vorwort verweist Friedrich Wolff darauf, dass ein Dr. Zechlin in „Der Neustettiner Kreis“ bereits 1886 den Begriff „Gartenstadt“ in Deutschland im geografisch-landeskundlichen Sinne für die pommersche Kleinstadt Neustettin verwendet und dass er in der internationalen Reiseliteratur ebenfalls auftaucht: Andreas Simon, „Chicago, die Gartenstadt. Unsere Parks, Boulevards und Friedhöfe…“, Chicago 1894.

So entstand seit 1893 die Obstbau-Siedlung Eden in Oranienburg: Einfamilienhäuser aus Stein oder Holz und bereits 1894 das Genossenschaftshaus am Festplatz., wenige Meter nördlich dann 1899 das Gasthaus und das Erholungsheim, 1921 ein Schulhaus (das wurde 2004 saniert). Die Geschichte von Eden zeigt, wie die Gartenstadtstruktur mit den Lebensanforderungen wuchs, ja wachsen konnte! Westlich des Genossenschaftshauses erstreckt sich die Stätte der Edener Obstverwertung, wo 1898 die Marmeladen- und Geleeproduktion begann. Die weiter errichteten Gebäude, wie Lagergebäude, Kindergarten und Jugendherberge, dürften gute Beispiele für ökologische Bauweise sein. So besteht auch ein Neubau von Gernot Minke 2002 „hauptsächlich aus Naturbaustoffen und besitzt die größte freitragende Lehmstein-Kuppel in Europa“. (S. 13)

Auch als Baugenossenschaft wurde die Siedlung „Freie Scholle“ in Berlin-Reinickendorf gegründet, 1899 fanden die ersten Grundsteinlegungen statt. Gustav Lilienthal hatte sog. Terrast-Typenhäuser entwickelt. Durch dessen Trockenmontagesystem wurden Bauzeit und Kosten deutlich verringert. Die wechselhafte Geschichte dieses Gebietes brachte zwischen 1925 und 1931 Doppel- und Reihenhäuser durch Bruno Taut. „Die heute als Schollenhof bekannte Wohnanlage gehört wie das von Taut in der Britzer Siedlung verwirklichte „Hufeisen“ zu den bedeutendsten Zeugnissen der Reformarchitektur des ‚Neuen Bauens’ in den 1920er Jahren.“ (S.17)

Um die Vollständigkeit deutlich zu machen, seien alle im Buch besprochenen Gartenstädte im folgenden genannt. Nach „Eden“ und der „Freien Scholle“ folgen jeweils auf mehreren Seiten mit sehr guten Farbfotografien dargestellt die Gartenstädte (Gartenstadt = Gst):

  • Gst Marga (Senftenberg)
  • Gst Frohnau (Berlin-Reinickendorf)
  • Gst Wilmersdorf (Berlin-Charlottenburg)
  • Siedlung Heimland (Landkreis Ostprignitz-Ruppin)
  • Gartenstadt Hohenschönhausen (Berlin-Lichtenberg)
  • AEG-Siedlung Hennigsdorf (Landkreis Oberhavel)
  • Gartenstadt Ideal (Berlin-Neukölln)
  • Gst Falkenberg (Berlin-Treptow-Köpenick), UNESCO-Welterbe
  • Gst Zehlendorf (Berlin-Steglitz-Zehlendorf)
  • Gst Staaken
  • Gst Plaue (Brandenburg/Havel)
  • Waldsiedlung Hakenfelde (Berlin-Spandau)
  • Gst Lindenhof (Berlin-Tempelhof-Schöneberg)
  • Siedlung Eisengrund (Berlin-Treptow-Köpenick)
  • Bahnhofsiedlung Erkner (Landkreis Oder-Spree)
  • Eisenbahnersiedlung Elstal (Landkreis Havelland)
  • Waldsiedlung Lichtenberg (Berlin-Lichtenberg)
  • Siedlung Am Anger (Luckenwalde)
  • Siedlung Heerstraße (Berlin-Charlottenburg-Wilmersdorf)
  • Gst Neu-Tempelhof (Berlin-Tempelhof-Schöneberg)
  • Gartenvorstadtsiedlung Oberspree (Berlin-Treptow-Köpenick)
  • Kleinmachnow (Landkreis Potsdam-Mittelmark)
  • Freiland-Siedlung Gildenhall (Landkreis Ostprignitz-Ruppin)
  • Gartenstadtsiedlung Siemensstadt (Berlin-Spandau), Teil der Großsiedlung Siemensstadt, UNESCO-Welterbe
  • Paulinenhofsiedlung (Frankfurt/Oder)
  • Heidehof (Berlin-Steglitz-Zehlendorf)
  • Siedlung Am Schragen (Potsdam)
  • Bruno-Taut-Siedlung (Berlin-Marzahn-Hellersdorf)
  • Hufeisensiedlung und Krugpfuhl-Siedlung (Berlin-Neuköln), UNESCO-Welterbe
  • Thielecksiedlung (Berlin-Steglitz-Zahlendorf)
  • Brenninkmeyersiedlung (Landkreis Potsdam-Mittelmark)
  • Saarlandanger (Potsdam)
  • Waldsiedlung Krumme Lanke (Berlin-Steglitz-Zehlendorf)
  • Daimler-Werkssiedlung Luwigsfelde (Landkreis Teltow-Fläming)

Heute mit Berlin verglichen, könnte das mit aktuellen guten Farbaufnahmen illustrierte Buch auch interessant sein für alle Bauwilligen nachhaltigen Bauens und für Garten-Architekturfreaks, die in der Berliner Stadtplanung keine visionäre Stadtgestaltung für naturnahes Leben der Städter mehr entdecken können. Oder anders ausgedrückt: in Qualität und Darstellung des Nutzens für Aufenthaltsqualität und Lebenslust könnte diese Publikation besonders den Berliner Stadtplanern gefährlich werden. Zeigt sie doch das es möglich war, stadträumliche naturnahe Planungen zu entwerfen und zu bauen. Ein Affront gegen die unsäglichen Siedlungsghettos jetziger Investorengruppen an den Berliner Stadträndern, für die meistens Gärten eingerissen wurden. Frei nach Voltaire könnte man dazu sagen: Das Bessere ist des Guten Feind. Auf denn in die Gartenstädte Berlins und seines Umlandes.

Das Buch Friedrich Wolff, „Gartenstädte in und um Berlin“, 1. Auflage hendrik Bäßler Verlag 2012, 148 Seiten, 222 Abbildungen, gebunden, kostet 21,80 €.
www.baesslerverlag.de
info@baesslerverlag.de

Nachbemerkung der Autorin: 2008 hat das Welterbekomitee der UNESCO sechs Siedlungen der Berliner Moderne in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen, davon 2 Gartenstädte:
Sechs Reformsiedlungen sind die dritte Berliner Kulturstätte, die von der UNESCO als Welterbe ausgezeichnet wurde (Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, Schloss Glienicke, Pfaueninsel, und Museumsinsel Berlin sind die ersten beiden). Die sechs Berliner Siedlungen wurden zwischen 1913 und 1934 erbaut:
■ Gartenstadt Falkenberg (Berlin-Treptow-Köpenick), 1913-15 erbaut von Bruno Taut
■ Siedlung Schillerpark (Berlin-Wedding), 1924-30 erbaut von Bruno Taut und Franz Hoffmann
■ Hufeisensiedlung Britz (Berlin-Neukölln), 1925-30 erbaut von Bruno Taut und Martin Wagner
■ Wohnstadt Carl Legien (Berlin-Prenzlauer Berg), 1928-30 erbaut von Bruno Taut und Franz Hillinger
■ Großsiedlung Siemensstadt (Charlottenburg und Spandau), 1929-34 erbaut von Otto Bartning, Fred Forbat, Walter Gropius, Hugo Häring, Paul Rudolf Henning und Hans Scharoun.
Anm.: Die Gartenstadtsiedlung gehört zwar zur Siemensstadt, jedoch bezieht sich das UNESCO-Welterbe nur auf die Großsiedlung, die unter der Gesamtleitung von Martin Wagner von 1929 - 1934 Jahre im Stil der Moderne vom Land Berlin errichtet wurde. In der folgenden Karte ist das Areal der Großsiedlung (Weltkulturerbe) und der südliche Rand der Gartenstadtsiedlung markiert. (Dankenswerterweise vom Autor des Buches Dr. Wolff an die Autorin dieser Rezension zur Verfügung gestellt)


■ Weiße Stadt (Berlin-Reinickendorf), 1929-31 erbaut von Bruno Ahrends, Wilhelm Büning und Otto Rudolf Salvisberg

Berlin ist damit neben Rom, Peking und Mexiko-Stadt eine von weltweit nur vier Städten, die drei UNESCO-Welterbestätten beherbergen.

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